Die vor Monaten entfachte „Armuts-Debatte“ hat erneut die Mittellosigkeit breiter Bevölkerungsschichten vor Augen geführt. Situationsbedingt kümmern sich immer weniger der Betroffenen um die Mahnungen ihres Vermieters bzw. der Hausverwaltung; sie ignorieren die fristlose Kündigung ebenso wie die Zustellung der Räumungs- und Zahlungsklage und des anschließenden Versäumnisurteils.
Nur wenige raffen sich auf, wenn der Gerichtsvollzieher seine Zwangsräumung angekündigt hat. Dann aber ist es in aller Regel zu spät. Denn nach § 721 der Zivilprozessordnung (ZPO) muss der Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist bis zur letzten mündlichen Verhandlung gestellt worden sein.
Hilfe verspricht in engen Ausnahmefällen § 765 a ZPO. Danach kann der betroffene Mieter beim Vollstreckungsgericht beantragen, die angedrohte Zwangsräumung aufzuheben, zu untersagen oder einstweilen einzustellen, wenn sie – auch unter voller Würdigung der Schutzbedürfnisse des Vermieters – wegen ganz besonderer Umstände für den Mieter eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten unvereinbar ist. Ob das so ist, muss der Mieter in seinem Räumungsschutzantrag ganz konkret darlegen und notfalls eidesstattlich versichern.
Gleichzeitig muss er dasselbe dem vor der Tür stehenden Gerichtsvollzieher ebenso konkret darlegen, damit dieser wenigstens die Räumung so lange verschiebt bis das Gericht über den Antrag entschieden hat.
War z.B. der Mieter über einen sehr langen Zeitraum im Krankenhaus und hat er für diese Zeit seinem ansonsten ihm als zuverlässig bekannten Freund die Post und die anderen Dinge anvertraut und hat dieser Freund sich leider nicht um die Post gekümmert, so könnte dieser Mieter mit einem solchen Antrag durchdringen, insbesondere dann, wenn er zudem dem Vermieter den weiteren Mietausfall bis zur endgültigen Räumung zu zahlen im Stande ist.
Dem Amtsgericht Neukölln lag jedoch ein etwas anders gelagerter Fall zur Entscheidung vor. Dort befand sich ein ausländischer Mieter in Untersuchungshaft. Während dieser Zeit erhielt er an seine Wohnungsanschrift zuerst die fristlose Kündigung, dann die Räumungs- und Zahlungsklage und schließlich auch das Versäumnisurteil zugestellt. Im späteren Prozessverlauf ließ er sich dahingehend ein, seine Frau habe ihm all dies vorenthalten, um ihn nicht noch weiter aufzuregen, was diese auch dem Gericht durch eidesstattliche Versicherung bestätigte. Mit diesem und dem formalen Einwand, die Klage hätte an die Haftanstalt und nicht an seine Wohnungsanschrift zugestellt werden müssen, verteidigte er sich gegen die bevorstehende Räumung. Das Landgericht vertrat hinsichtlich der Zustellung die Auffassung des Mieters nicht. Auch die vorübergehende Abwesenheit durch die Untersuchungshaft ändere nichts an der Tatsache, dass seine Wohnung weiterhin der Mittelpunkt seiner Lebensführung bleibe. Das Landgericht berief sich auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Az LG Berlin 64 S 159/06).
Die beim Kammergericht eingelegte Beschwerde wurde aus den selben Gründen zurückgewiesen (KG 12 W 34/06).
Hinsichtlich der Vorenthaltung der Post durch die Ehefrau folgte das Amtsgericht Neukölln ebenfalls dem Mieter nicht, da dieser während der Zeit, wo die Räumungs- und Zahlungsklage anhängig war, seine Ehefrau schriftlich bevollmächtigt hatte „ihn in sämtlichen Wohnungsangelegenheiten“ zu vertreten. Aus diesem Umstand sah es das Amtsgericht für erwiesen an, dass der inhaftierte Mieter mehr wusste, als er vorgab und wies seine Klage ab (Az AG Neukölln 14 C 63/06).
Der Autor ist Rechtsanwalt der Kanzlei Klasen und Hennings in Berlin